„New Work und Kunst: Kontrollierter Anarchismus, der inspiriert und motiviert.“

Installation Open Space „Sonnenstunde“, Teil des Refresh in der Telefonzentrale Bonn.

Interview für die Competence Site von Dr. Winfried Felser mit unserem GF Andreas Geyer

Vor einigen Jahren war Kunst am Bau oft gesetzliche Pflichtveranstaltung oder in andere Fällen nur Dekoration. Mit New Work scheinen Kunst und Design mehr denn je an Bedeutung zu gewinnen und u.a. zum Objekt-Narrativ für ein Zukunftsbild oder zum Zerstörer alter Denkmuster zu werden. Kunst als existentielle Formensprache?! Storytelling, das erlebbar ist, statt Hochglanz-Broschüren und Anzeigen?!
Es freut uns, dass wir mit Andreas Geyer einem im wahrsten Sinne ausgezeichneten Ansprechpartner für das Thema finden konnten. Andreas Geyer ist Gründer und Mitinhaber der ORANGE COUNCIL GmbH und Inhaber der ORANGE CAMPAIGN LTD. mit Sitz in Hongkong. Als Art- und Creative Director arbeitete er in einer Vielzahl bekannter europäischer Kreativagenturen, zuletzt als Mitinhaber der Red Rabbit Werbeagentur. Er ist Mitglied des britischen Kreativclubs D&AD und des deutschen Art Directors Club (ADC). Für seine Arbeiten wurde er mit über 100 nationalen und internationalen Kreativ- und Effizienz­preisen ausgezeichnet, zuletzt nun auch mit dem Goldenen Nagel für das New Work-Projekt der Deutschen Telekom AG.

Andreas Geyer ist Gründer und Mitinhaber der ORANGE COUNCIL GmbH und Inhaber der ORANGE CAMPAIGN LTD. mit Sitz in Hongkong.

Sehr geehrte Herr Geyer,
Frage 1: Orange Council und der goldene Nagel!
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur erneuten Auszeichnung! Viele Auszeichnungen für Kreativität und Effizienz sind sowieso Teil der Biografien der Gründer von ORANGE COUNCIL. 2015 waren Sie dann auch noch New Comer Agentur des Jahres, nun haben Sie den Goldene Nagel für ein New Work-Projekt gewonnen.
Können Sie uns einige Worte zu sich als Person und Organisation sagen? Wie bringt man preisgekrönte Kreative mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen dazu, in einer gemeinsamen Organisation zu wirken? Wie funktioniert Orange Council? Und last, but not least: Was war ausschlaggebend für die erneute Auszeichnung?

Erst einmal vielen Dank für die vielen Blumen! Ein paar Worte zu uns: Die ORANGE COUNCIL GmbH ist eine Kommunikationsagentur mit kleinen dezentralen Büros in Deutschland und im Ausland, im Grunde eine Plattform für unser Kreativ- und Künstler-Network. Wir versuchen hier Kommunikationsdisziplinen wie Design, Werbung, Film, Event, räumliche Inszenierung und Kunst intelligent zu verknüpfen zu multiplikationsfähigem Storytelling. Und weil alles ein Label braucht, haben wir das auch. Wir nennen das: NEUE SPIELKULTUR.

Wir stellen dafür kleine agile Einheiten mit Kreativen und Künstlern aus aller Welt immer neu zusammen, um den speziellen Anforderungen des jeweiligen Projektes gerecht zu werden. Und wenn wir hier über unsere NEW-WORK-Projekte sprechen: Die Prinzipien für Arbeit 4.0 leben wir eigentlich alle selbst seit Gründung von ORANGE COUNCIL.

Dass wir neben dem wirtschaftlichen Erfolgs auch noch Kreativ- und Effizienzspreise wie die beim Effie Award oder beim renimierten ART DIRECTOR'S CLUB gewinnen, macht uns das ganz besonders stolz. Bei letzterem, dem Refresh der Telekom-Zentrale in Bonn ging es vor allem darum, Identifikation zu stiften durch den ungewönlichen künstlererischen Umgang mit der Telekom eigenen technologischen Historie.

Dabei war es uns wichtig, nicht einfach ein Kunstkonzept aufzupfropfen, sondern die Planungsmodule des Auftraggebers einzubinden und mit einem besonderen Blickwinkel zu versehen.
Mithilfe von Kunst, Architektur und Design haben die beteiligten Künstler dabei in Zusammenarbeit mit den Telekom-Verantwortlichen eine ganz eigene Formsprache entwickeln können und der vormals eher formalen, unpersönlichen Telekom-Zentrale einen ganz eigenen neuen Spirit geben können.

Hörbaum, Teil der Upsycling Objekte für den Refresh Telekom Bonn.

Frage 2: #New Work: Von Kunst am Bau als Pflicht zum Narrativ als Kür
Vor einigen Jahren war Kunst am Bau oft gesetzliche Pflichtveranstaltung oder in andere Fällen nur Dekoration. Mit New Work scheinen Kunst und Design mehr denn je an Bedeutung zu gewinnen und u.a. zum Objekt-Narrativ für ein Zukunftsbild oder zum Zerstörer alter Denkmuster zu werden. Kunst als existentielle Formensprache?! Storytelling, das erlebbar ist, statt Hochglanz-Broschüren und Anzeigen?!
Inwieweit entdecken Unternehmen heute schon in der Breite die Chance, mit Kunst und Design Kultur oder andere Framings zu transportieren oder zu transformieren? Was treibt das Thema? Können Sie die Rolle von Kunst und Design im Detail erläutern? Was verändern Kunst und Design im Idealfall in den Köpfen der Mitarbeiter?

Ich finde, Kunst hatte ja besonders in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert, prägte dabei Zukunftsbilder und war verantwortlich für die Zerstörung alter Denkmuster, denken wir nur an die künstlerischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an die BAUHAUS-Schule oder an WARHOL's Factory.
Wir befinden uns heute wieder am Beginn großer gesellschaftlicher Umwälzungs-Prozesse, bedingt durch Digitalisierung, Globalisierung oder Wertewandel, und da ist ja nur folgerichtig, dass vor allem die Kunst gesellschaftlich motivierend wirken und wieder Inspirationen für Lösungswege anbieten kann.
Am besten funktionieren die künstlerischen Interventionen allerdings, wenn man Menschen und Mitarbeiter mit einbezieht, Kontexte deutlich macht und die entstandenen Stories und Bilder anderen weitererzählt. Und dafür setzen wir sehr viele andere Kommunikationsmittel und Disziplinen außerhalb von Kunst wie Filme, Buchpublikationen, Events oder Schlüssselbilder für die sozialen Medien ein. Es geht meiner Meinung also nicht, um ein Entweder-Oder klassische Medien vs Kunst, sondern um den klugen, effizienten und zeitgleichen Einsatz verschiedener Kommunkations-Disziplinen. Auf diese Weise entwickeln die Arbeiten ihre Kraft nicht nur im abgeschlossenen Raum für einen kleinen Mitarbeiterkreis, sondern sie wirken durch ein integriertes Kommunikations-Konzept, an dem auch ein großes Publikum teilhaben kann.
Und ein so entstandenes Außenbild trägt natürlich dazu bei, ein Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber wahrzunehmen. Kunst schafft so also nicht nur adäquate und inspirierende Arbeitsumfelder im Rahmen von NEW WORK, sondern ist auch kraftvolles HR-Instrument.
Das visuelles Storytelling, das das durch die künstlerischen Arbeit entsteht, liefert außerdem ungewöhnlichen Content und starke Geschichten für Journalisten und andere Multiplikatoren und bietet durch die ungewöhnliche Kommunikation im Raum viel fotografierte und in der Presse verwendete Bilder. Die geschaffenen innovativen Rauminstallationen können so von Unternehmen als visueller Imagetransfer genutzt werden.
Gute Gründe also für die zunehmende Hinwendung der Unternehmen zu der kommunikativen Kraft von Kunst und Design.

Frage 3: #NewWork und Kunst und Design konkret
Sie haben u.a. Bosch, die Deutsche Telekom und Detecon bei der eigenen Transformation erfolgreich begleitet, insbesondere auch den Detecon-Umzug von Bonn nach Köln unterstützt. Dafür interpretierten Sie Fundstücke der Unternehmensgeschichte neu oder nutzten auch schon einmal eine Kettensäge an weißen Wänden.
Können Sie – gerne auch mit Bild – an Beispielen erklären, wie Sie Kunst und Design bei diesen Projekten eingesetzt haben? Inwieweit konnte man auf die individuellen Gegebenheiten (Umzug, Beratung, New Work) eingehen? Wie verträgt sich der anarchistische Ansatz von Kunst mit der Strenge des Corporate Designs? *

Weiße Wände mit Kettensägen zu bearbeiten, ist ein sehr schönes Bild, finde ich. Vor allem für die disruptive Komponente, eine von drei wichtigen Säulen der Arbeit von ORANGE COUNCIL im Bereich NEW WORK. Insbesondere in Deutschland hat das Thema „Inspiration“ bisher nur wenig bis keinen Einzug in die Arbeitsumgebung gefunden. Da dominieren vielerorts reine Funktionalität und pure Langeweile.
Dabei geht es darum, Bilder zu schaffen, die bewußt irritieren und somit Anlässe schaffen, über seine Verhaltens- und Arbeitsweise nachzudenken, ein „Denken über das eigene Denken“ zu initiieren, wie es unser künstlerischer Leiter und Kurator Dr. Bernhard Zünkeler einmal formuliert hat.
Im Zentrum der Gestaltung steht dabei das sogenannte „Up-Cycling“, dies bedeutet, ausrangiertes Inventar oder Fundstücke technischer Historie werden durch die künstlerische Auseinandersetzug in die Gegenwart katapultiert. Entscheidend dabei ist, dass diese Elemente die Unternehmenskultur widerspiegeln und einen wesentlichen Identifikationspunkt für das Unternehmen bilden.
Wenn man das Ganze beziffern will, macht der stark disruptive Teil dabei etwa 10% der Arbeit aus, rund 20% bilden Kommunikations- und Kollaborationsbereiche mit einem starken Fokus auf Funktionalität und Flexibilität. Einen Großteil der Flächen bilden dann Standardmobiliar von Standardmöbelherstellern – maximal skalierbar und funktional. Auch die disruptiven Element sind also in ein Gesamt-Konzept eingebunden und werden gezielt und dosiert eingesetzt.
Der auf den ersten Blick „anarchistische Ansatz“ ist in Wirklichkeit in ein sehr geplantes Gesamt-Konzept eingebunden, bei denen verschiedene Disziplinen aus Unternehmensberatung, Kommunkation, Design, Architektur und Kunst zusammenwirken.
Wie das Corporate Design unterliegen die Arbeiten für NEW WORK natürlich den jeweiligen Unternehmenszielen. Mit ihren völlig unterschiedlichen Rollen, wirken sie ganz klar komplementär. Der vermeintliche Gegensatz zwischen Kunst und Corporate Desing ist also eher im formalen Bereich zu sehen.

Frage 4: #NewWork und Kunst-Projekte - Klassisches Vorgehen?
Ein New Work-Projekt, insbesondere das Raum-Kunst-Projekt geschieht in einem besonderen Spannungsfeld von Planbarkeit von Gestaltung und Spontanität.
Wie klassisch oder individuell war dieses Projekt? Was war der Auslöser? Wie kam es zur Zusammenarbeit, wer war involviert, was waren Ziele und Rahmenbedingungen und wie wurde das gewünschte Ergebnis in der Zusammenarbeit realisiert? Ist Spontanität planbar? Wie vertrugen sich die Kulturen von Künstlern und Beratern?

Wir arbeiten seit einigen Jahren erfolgreich mit dem Kompetenzbereich NEW WORK der Unternehmensberatung DETECON zusammen. ORANGE COUNCIL dabei als den „Bauch“ und die Detecon als „den Kopf“ zu bezeichnen, verkürzt das Ganze eigentlich unzulässig, aber trifft es auch ein bißchen, wobei die Übergänge fließend sind. Die Tools dazu sind: Erkennen von Motivationstreibern, umfassende Bedarfsanalysen, das Identifizieren der unterschiedlichen Aktivitätencluster der Arbeitsumfelder und die kommunukative Begleitung nach innen und außen. Das Besondere aber daran: Bei unserer gemeinsamen Arbeit verschmelzen die Bereiche Unternehmensberatung und Kommunikations-Strategie, klassische und unkonventionelle Arbeitsweisen immer mehr zu einem spannenden, noch nie dagewesenen Produkt. Und das versuchen wir, immer mehr optimieren.
In diesem sehr geplanten Prozeß den Künstlern ein Höchstmaß an Freiraum und künstlerischem Anarchismus zu ermöglichen, schafft den besonderen USP dieser ungewöhnliche Kooperation.
Dieser für Unternehmen „geplante Kontrollverlust“ ist der erste sichtbare Schritt in eine neue gelebte Innovationskultur in all ihren Facetten von NEW WORK, die künstlerischen Arbeiten dienen der Inspiration und Motivation auf dem hoffentlich nicht allzu langem Weg dorthin.

Frage 5: #ROI / Erfolg von #Kunst im Kontext #NewWork?
Bei weichen Erfolgsfaktoren wie Kunst ist eine Bewertung häufig sehr schwierig. Trotzdem stellt sich natürlich auch hier die Frage des Erfolgs / Misserfolgs?
Haben Sie ein Feedback der Mitarbeiter systematisch nachgefragt oder gab es in anderer Form eine Erfolgs-Evaluation? Fand ein Lernprozess statt bzw. wurden getroffene Entscheidungen auch revidiert? Inwieweit wurden alle Blütenträume wahr?

Kunst selbst ist ja kein Erfolgsfaktor, sondern nur eine besondere Form der Kommunikation. Die Wirkung der damit entstandenen Arbeitsumfelder – intern wie extern - kann man selbstverständlich messen, wenn man das will.
Wenn man sich die Vielzahl der einzelnen Veröffentlichungen ansieht, so kann man jetzt schon sagen, dass die erzielte mediale Sichtbarkeit ein Vielfaches des eingesetzen Budgets für die räumliche Inszenierungen ausmacht. Uns liegen außerdem Zahlen von Unternehmen vor, in denen beispielsweise das „Weiter-Empfehlungs-Potential als attraktiven Arbeitgeber“ in dem Zeitraum vor, während und nach den räumlichen Inszenierungen und Zuwächse bei Neukunden-Generierung um einen hohen zweistelligen Wert gesteigert werden konnten.
Das hat natürlich nicht nur etwas mit Kunst zu tun, aber Kunst hat da sicherlich sehr helfen können.
Solche Zahlen sind natürlich wichtig für das interne Controlling der Unternehmen, viel wichtiger ist natürlich, jeden einzelnen Mitarbeiter jeder Hierarchie-Ebene zu erreichen, zu begeistern und zu inspirieren. Mit Workshops, mit unterschiedlichen begleitenden Kommunikations-Maßnahmen, internen Events, mit Rapid-Prototyping und natürlich mit den neugestalteten Arbeitsumfeldern selbst.
Denn Transformationsprozesse in Unternehmen, die ja auch volkswirtschftlich von entscheidender Bedeutung sind, funktionieren nicht mehr ausschließlich Top-Down, sondern nur, wenn alle Mitarbeiter wirklich dazu bereit sind. Und wirklich toll ist doch, wenn Kunst da seinen gesellschaftlichen Beitrag dazu leisten kann.

Vielen Dank für das Interview!